KRISEN MANAGEN WIE EIN PROFI - Ein Interview mit Sabine Prohaska

 

KRISEN MANAGEN WIE EIN PROFI - Ein Interview mit Sabine Prohaska

KRISEN MANAGEN WIE EIN PROFI

Selbstcoaching hilft, in unruhigen Zeiten zu bestehen - aber auch zu erkennen, wann wir Unterstützung brauchen.

Frau Prohaska, Sie sagen, wir geraten immer häufiger in Situationen, in denen wir uns entscheiden oder die Weichen neu stellen müssen. Was sind das für Situationen?
Sehr verschiedene. Da ist zum einen der Beruf - zum Beispiel wenn sich in unserem Arbeitsumfeld etwas Gravierendes ändert. Dann stehen wir stets vor der Entscheidung love it, change it, or leave it. Arrangiere ich mich damit, verändere ich es, oder suche ich mir etwas Neues? Auch im Privatleben gilt es immer wieder, grundlegende Entscheidungen zu treffen wie: Bleibe ich da, wo ich lebe, oder ziehe ich um? Wie viel Nähe wünsche ich in der Beziehung zu meinem Partner? Wie wichtig ist es mir, viel Zeit für meine Hobbys zu haben? Hinzu kommen die vielen kleinen Entscheidungen im Alltag, die jedoch unser Leben prägen - wie zum Beispiel: Wie ernähre ich mich? Wie stark lasse ich mich von meinem Smartphone fremdbestimmen?

Warum werden diese Situationen häufiger?
Weil wir mehr Möglichkeiten haben, letztlich bei unserer gesamten Lebensführung und -gestaltung. Noch vor ein, zwei Generationen war das Leben der meisten Menschen weitgehend vorbestimmt. Heute müssen wir unseren Platz im Leben selbst finden und regelmäßig neu bestimmen. Vor allem weil sich die Rahmenbedingungen unseres Lebens - unter anderem aufgrund der Digitalisierung - rasch ändern. Wie wir arbeiten, wo wir einkaufen, wie wir Musik hören, wie wir unsere Partner finden, das alles ist heute im Fluss. Deshalb müssen wir regelmäßig neu entscheiden, wie wir leben möchten.

Warum halten Sie die Kompetenz zum Selbstcoaching für so wichtig?
Aufgrund unserer vielen Möglichkeiten und der zahlreichen Veränderungen in unserem Umfeld benötigt heute jeder Mensch die Kompetenz, selbst Antworten auf solche Fragen zu finden wie: Was sind derzeit meine Lebensziele? Was ist mir wichtig? Und wie sollte ich mich deshalb entscheiden und handeln? Einen professionellen Coach sollten wir jedoch zurate ziehen, wenn die Gefahr besteht, in eine existenzielle Lebenskrise zu geraten.

Wie definieren Sie den Begriff Krise?
Ich möchte hier zwischen einer „normalen", zeitlich befristeten Krise und einer existenziellen Lebenskrise unterscheiden. In unserem Leben geraten wir immer wieder in Situationen, in denen wir uns nicht wohl in unserer Haut fühlen - zum Beispiel weil es in unserer Beziehung oder unserem Job hakt. Das ist normal! In diesen Situationen, die wir oft als Krise empfinden, ist vor allem unsere Selbstcoaching-Kompetenz gefragt. Daneben gibt es existenzielle Lebenskrisen, bei denen wir für längere Zeit oder oft gefühlt dauerhaft aus dem seelischen Gleichgewicht geraten - weil unsere bisherigen Problemlösetechniken versagen und wir allein weder die Kraft noch die Kompetenz haben, neue zu entwickeln und anzuwenden. Dann benötigen wir externe, professionelle Hilfe.

Woran erkennen wir, dass uns eine Situation überfordert?
Ein typisches Anzeichen hierfür ist ein länger anhaltendes Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit, also das Gefühl, einer Situation ausgeliefert zu sein und nicht mehr die Mittel, Fähigkeiten und Ressourcen zu haben, um sie zu meistern. Das stresst uns, und dies artikuliert sich wiederum zum Beispiel in einem körperlichen Unbehagen, einem Angespanntsein und Schlafstörungen.

Wenn ich in eine Krise gerate, etwa aufgrund einer Kündigung oder Erkrankung, macht es dann einen Unterschied, wenn dies ohne mein Zutun geschah?
Am Anfang ja, da ich ja einen externen Schuldigen habe: meinen früheren Arbeitgeber, mein Schicksal. Letztlich ist das Erleben einer Krise jedoch immer gleich: Wir fühlen uns - zumindest vorübergehend - ohnmächtig und hilflos.

Wie gehe ich damit um, wenn ich das Gefühl habe, die Krise selbst ausgelöst zu haben?
Der schlechteste Weg ist, sich in Selbstmitleid zu ergehen. Wichtig ist, den Blick in Richtung Zukunft zu wenden und sich ohne Selbstanklagen beispielsweise zu fragen: „Was hätte ich anders machen können?"

Unter welchen Voraussetzungen gelingt ein Selbstcoaching in einer normalen, nichtexistenziellen Krise am besten?
Die erste Voraussetzung ist, sich gerade in solchen befristeten Krisensituationen bewusstzumachen, wie viel man im Leben schon gemeistert hat. Das ist stets mehr als gedacht, und das reduziert oft schon das Gefühl der Ohnmacht. Eine weitere ist, sich bewusstzumachen, dass es nicht den einen richtigen Lebensweg gibt, der uns bis ans Lebensende glücklich macht. Unsere Bedürfnisse verändern sich im Verlauf unseres Lebens und somit auch unsere Ziele. Wir sollten mental jedoch auch auf Rückschläge vorbereitet sein, denn herausfordernde Ziele erreicht man oft nicht auf dem direkten und geraden Weg, sondern mit vielen ups und downs. Deshalb sollten Menschen bei Rückschlägen und Schwächen nicht zu streng mit sich sein.

Was ist der allererste Schritt?
Sich in aller Ruhe zu überlegen, in welchem Bereich meines Lebens ich vorrangig eine Veränderung vornehmen möchte, um dann konkrete Ziele zu formulieren - wie „Ich will die Karrierestufen weiter aufsteigen" oder „Ich will einen Lebenspartner finden".

Was kommt danach?
Sich überlegen, was nötig ist, um dieses Ziel zu erreichen; außerdem, welche Ressourcen einem hierfür zur Verfügung stehen. Das ist auch wichtig, um zu checken, ob das Ziel mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erreichbar ist. Danach gilt es, einen Aktionsplan zu entwerfen - mit konkreten Teilzielen. Angenommen Sie möchten einen Lebenspartner finden. Dann kann Ihr Aktionsplan beispielsweise lauten: Ich lege mir einen neuen Look zu und treibe regelmäßig Sport, um mein Selbstbewusstsein zu stärken. Oder: Ich melde mich bei einer Singlebörse an, um mich auf dem Markt der Möglichkeiten zu zeigen. Oder ich trete einem Sportverein bei, um meinen Freundeskreis zu erweitern. Dabei sollten Sie sich jedoch bewusst sein, was Sie für das Erreichen Ihres Ziels aufgeben. Denn hierfür zahlen wir stets einen Preis - und sei es nur, dass wir nicht mehr jeden Abend schlaff auf dem Sofa liegen.

Und woran merke ich, dass es besser wäre, mir Unterstützung zu holen?
Zum Beispiel daran, dass sich Ihre Gedanken permanent im Kreis drehen und Sie in der Grübelfalle steckenbleiben - ähnlich wie ein Auto im Morast: Je mehr Gas Sie geben, umso tiefer gräbt es sich ein. Oder daran, dass Ihre Energietanks so leer sind, dass Sie allein nicht die ersten Schritte schaffen. Hierfür bedarf es einer gewissen Achtsamkeit für sich selbst, damit wir es rechtzeitig erkennen, wenn wir Hilfe brauchen. Auch das ist eine Kompetenz, die wir heute verstärkt benötigen. Der Versuch, uns selbst zu coachen, darf uns nie so stark unter den Druck „Ich schaffe das allein" setzen, dass wir im Bedarfsfall Hilfe ablehnen. Oft zeigt sich unsere Selbstcoaching-Kompetenz gerade darin, dass wir akzeptieren: „Ja, ich brauche eine punktuelle, zeitliche Unterstützung."

Wie wichtig ist der Rat von Freunden oder Partnern?
Wichtiger als deren Rat ist meist deren mentale Unterstützung - also das Wissen: „Ich bin nicht allein" und werde im Bedarfsfall emotional getragen. Selbstverständlich können auch der Rat und das Feedback uns vertrauter Personen hilfreich sein. Das befreit uns aber nicht von der Notwendigkeit, uns zu entscheiden, denn unser Leben können wir nur selbst leben.

Wann sollte ich hinsichtlich der Empfehlungen vom Partner oder von Freunden skeptisch sein?
Wenn diese befangen sind, also von Ihrem Vorhaben mitbetroffen sind. Hierfür ein Beispiel: Sie spielen mit dem Gedanken auszuwandern. Dann könnte sich Ihr Vorhaben aus Sicht Ihrer Freunde eventuell negativ auf Ihre Beziehung zu ihnen auswirken. Deshalb sind deren Ratschläge möglicherweise nicht selbstlos.

Woran erkenne ich, ob die gefundene Lösung tatsächlich die richtige für mich ist?
Ihre Frage enthält bereits einen Teil der Antwort: „für mich richtig". Viele Personen suchen nach der Lösung, die alle Menschen bis ans Lebensende glücklich macht. Die gibt es nicht! Ob eine Lösung für sie richtig ist, sagt gesunden Menschen meist ihr Bauchgefühl: Die Lösung muss sich für sie zum jetzigen Zeitpunkt richtig anfühlen. Denn nur dann können wir die nötige Energie entfalten, um die damit verbundenen Ziele zu erreichen. Und wenn die Lösung sich ein Jahr später eventuell fals)ch anfühlt? Dann sollten wir sie eben überdenken und uns eventuell neu entscheiden.

INTERVIEW : SUSANNE ACKERMANN

Vier Schritte bringen Klarheit

Coach Sabine Prohaska nennt vier Schritte des Selbstcoachings, die helfen, Antworten auf knifflige oder komplexe Fragen zu finden,
Schritt 1: Der Ausgangspunkt - worum geht es mir?

Ziel ist, sich selbst auf die Spur zu kommen, verschüttete, verdeckte Wünsche und Träume wieder auszugraben und unter den aktuellen Voraussetzungen noch einmal neu zu betrachten. Es gehe darum, sich Tagträume zu erlauben und alles zu notieren, was uns dazu einfällt. Bei alten Erinnerungen könne es auch sinnvoll sein, Verwandte oder Freunde aus der Kindheit zu fragen. Als hilfreiche Fragen nennt Prohaska: Was wollte ich als Kind werden, wenn ich groß bin? Wie wollte ich sein, wenn ich groß bin? Aus heutiger Sicht könne man sich etwa fragen: Was würde ich tun, wenn ich mehr Geld hätte, keine Verpflichtungen oder so viel Zeit, wie ich wollte? Außerdem lassen sich positive Erinnerungen vergegenwärtigen, ob man eigene Träume schon einmal gelebt hat und wie sich das angefühlt hat.

Schritt 2: Was ist mein Ziel?

Ziel ist, sich das eigene Wunschbild plastisch vorzustellen und sich zu überlegen, wie man sich fühlen wird, wenn es erreicht wurde. Prohaska: „Schreiben Sie sich dafür einen Brief aus Ihrer Zukunft und schildern Sie Ihr erträumtes Leben detailliert und konkret." Dazu könne man sich selbst in zwei oder fünf Jahren vorstellen, beispielsweise in einem Moment, in dem man gerade einen Brief von einem Freund erhalten habe. Darin frage uns die Person, wie es uns gehe, was wir machten. „Diesem Freund möchten Sie nun Ihrerseits einen Brief schreiben und ihm mitteilen, was sich in Ihrem Leben gerade tut. Beginnen Sie Ihr Schreiben mit ,Liebe/r XY' und versehen Sie es mit einem Datum in der Zukunft. Erlauben Sie sich dabei, von einer wunderbaren Zukunft zu träumen: ohne Probleme, aber davon, wie Ihr Alltag aussehen sollte", empfiehlt Prohaska.

Schritt 3: Blick zurück

Ziel ist, sich die Dinge bewusstzumachen, für die man dankbar ist. Dies helfe dabei, die eigenen Ressourcen wieder besser wahrzunehmen: „Notieren Sie, welchen Menschen Sie dankbar sind, für welche Dinge Sie dankbar sind und was Sie bisher erreicht haben." Darüber hinaus sei es hilfreich aufzuschreiben, was man gelernt hat und welche Erkenntnis man mit auf den Weg nehmen möchte.

Schritt 4: Der Weg

Ziel ist, sich vorzustellen, wie der Weg zum Ziel aussehen könnte, etwa ob er steinig wird, ob man ihn allein geht oder jemand dabei ist und wie man Energie tanken kann. Es gehe bei diesem vierten Schritt darum, alles zu notieren, was man im Leben schon gemeistert hat, auch Dinge, die selbstverständlich erscheinen. Sinnvoll sei es, alle Erfolge in einer Tabelle untereinander festzuhalten und daneben in einer zweiten Spalte zu notieren, welche Stärken, Fähigkeiten und Eigenschaften dabei geholfen hätten, erklärt Sabine Prohaska.